Dies Domini – Fest der Heiligen Familie/Sonntag in der Weihnachtsoktav, Lesejahr B
Der moderne Mensch hat nicht nur die Natur gezähmt, auch das Heilige hat er sich verfügbar gemacht. Das Heilige konfrontiert nicht mehr, es ist nicht fremd und anstößig, schon gar nicht herausfordern. Das Heilige hat nett und niedlich zu sein; es ist romantisch verklärt. Das Heilige schreckt nicht mehr mit seiner Größe – im Gegenteil! Das Heilige ist schrecklich profan geworden.
Auch die Kirche kann sich offenkundig diesem Trend nur schwer entgegenstellen. Die wilde Unbeherrschbarkeit des Heiligen muss gemäßigt werden. Die Größe Gottes braucht ein handliches Format, damit er in die kleinen Herzen passt, in die sonst der Schreck fahren würde. Der Schrecken der Weihnacht fährt den Hirten auf den Feldern nahe Bethlehem als erste in die Glieder – ausgelöst durch die Offenbarung der Herrlichkeit Gottes, die Menschen ob ihrer Größe nicht unmittelbar zu schauen können – sich wie im Alten Testament hinter den Engeln verbirgt und doch noch so groß ist, dass sie denen, die sie schauen, nicht Freude, sondern Furcht bereitet.
Fürchtet euch nicht! (Lukas 2,10a)
ist deshalb auch das erste, was die Hirten von den Engeln zu hören bekommen, bevor die eigentliche Freudenbotschaft verkündet wird:
denn ich verkünde euch eine große Freude, die dem ganzen Volk zuteil werden soll: Heute ist euch in der Stadt Davids der Retter geboren; er ist der Messias, der Herr. Und das soll euch als Zeichen dienen: Ihr werdet ein Kind finden, das, in Windeln gewickelt, in einer Krippe liegt.(Lukas 2,10b-12)
Die Botschaft ist bemerkenswert, denn sie verkündet nichts weniger als die Erscheinung Gottes. Das Neugeborene wird als Retter und Messias gekennzeichnet, als der von Gott Gesandte und Gesalbte, auf den ganz Israel wartet. Der kleine Zusatz „der Herr“ aber geht weit darüber hinaus. Es ist eine Gottestitulatur, die auf das alttestamentliche Adonai zurückgeht, das die Juden aussprechen, wenn in der Heiligen Schrift der Gottesname JHWH erwähnt wird. Es ist eine Ehrfurchtsgeste. Juden sprechen aus Ehrfurcht vor Gott seinen Namen nicht aus, sondern substituieren ihn – unter anderem und bevorzugt eben durch Adonai – der Herr.
Die Botschaft der Engel lautet also: Gott ist erschienen. Er hat sich in menschlicher Gestalt offenbart. Das untrügliche Zeichen: ein Kind, in Wickeln gewindelt und in einer Krippe liegend.
An dieser Stelle beginnt üblicherweise des Heiligen Zähmung. In zahlreichen Predigten geschieht sie alljährlich wieder. Gott wird ein Kind, als Kind kommt Gott.
In diesen gern gesagten Sätzen, die das Kindchenschema bedienend einen Fürsorgereflex auslösen und die psychedelisierende Romantik „Stille Nacht, heilige Nacht“ erst so richtig zur Geltung bringen, wird allerdings übersehen, dass Gott nicht wird und nicht kommt. Er ist und er ist immer schon da! Genau das ist ja die Bedeutung des Gottesnamens JHWH:
Ich bin der „Ich bin da“! (Exodus 3,14)
Genau diesen Aspekt betont der kleine Zusatz
er ist der Messias, der Herr. (Lukas 2,11),
der das ganze Weihnachtsevangelium so unbeherrschbar macht. Es geht nicht um Kindwerdung, es geht um Fleischwerdung, Inkarnation, Erscheinung Gottes, Epiphanie, Selbstoffenbarung dessen in menschlicher Gestalt, den menschliche Augen nicht schauen können, weil der Mensch sonst vor Schreck den Verstand verlieren würde.
Das ist die eigentliche Botschaft und nicht, dass Gott ein Kind wird. Wenn er Mensch wird, muss er den Weg des Menschlichen gehen – von der Wiege bis zu Bahre, oder besser: von der Krippe bis zum Kreuz.
Sein Leben war das eines Menschen. (Philipper 2,7c)
bekennt Paulus im Philipperbrief einen frühest-christlichen Hymnus zitierend. Zuvor vergegenwärtigt derselbe Hymnus die schwer verständliche Paradoxie der Selbstoffenbarung Gottes in Menschengestalt:
Er war Gott gleich,
hielt aber nicht daran fest wie Gott zu sein,
sondern entäußerte sich,
wurde wie ein Sklave,
und den Menschen gleich. (Philipper 2,6-7b)
Das ist nicht romantisch. Das passt schon gar nicht in die weihnachtliche Atmosphäre einer warmen Kirche, die etwas mitleidig auf die kleinen Luxusställe mit elektrifizierter Feuerbeleuchtung schaut. Die wahre Nacht zu Bethlehem verbreitete Schrecken, Schrecken, der aufregte, aufbrachte, aufscheuchte. Nichts war still, an Schlaf war nicht mehr zu denken. Wie auch, wenn ein himmlisches Heer mit der Stimme des Donners verkündet:
Verherrlicht ist Gott in der Höhe und auf Erden ist Friede bei den Menschen seiner Gnade.(Lukas 2,14)
Der Donnerhall der Stimme Gottes wird im Munde vieler Prediger gezähmt. Dann kommt der Himmel auf die Erde und man vergisst, dass unsere Vorfahren fürchteten, der Himmel würde ihnen auf den Kopf fallen; ist es nicht eher so, dass da nur schöne Worte gesagt werden, uns man nicht wirklich mit dem Himmel auf Erde rechnet, weil dann doch nichts mehr so bleiben würde, wie es war? Und auch bei der Kindwerdung Gottes unterschlägt man doch eher den Skandal seiner Fleischwerdung und dem damit verbundenen Anspruch der Veränderung. Hofft man nicht eher, Gott werde ein kleines Kind bleiben, er möge nicht wachsen und womöglich noch Ansprüche stellen?
Die Unstetigkeit des Lebens irgendwo zu verankern, das Ausgeliefertsein des Menschen an die Unberechenbarkeiten der Natur, die Bewältigung des Zustandes im Zweifelhaften ist der Grund für das Entstehen der Religion. Religion ist gerade deshalb keine Augenwischerei. Sie ist Daseinsbewältigung, die einem tiefen Bedürfnis menschlicher Existenz entspringt. Der Schrecken des Daseins ist ihr Urgrund. Er ist der Grund der Erkenntnis des Heiligen. Dem Schrecken des Heiligen zu begegnen, ihn als Urgrund des Lebens und seiner Würde anzuerkennen und mitzuteilen ist das eigentliche Ziel aller Religion. Eine Religion, die das Heilige zähmt, auf dass es seinen Schrecken verliert, beraubt sich des eigenen Fundamentes. Sie wird zur Fassade, zu einer Ansammlung von Traditionen und Bräuchen, die dem Leben vielleicht noch eine Hohlform geben, die nach außen gefällig ist, in deren Leere aber nur ein abgrundtiefes Nichts ist; ein Nichts, vor dem sich der Mensch fürchtet und vor dem er wieder erschrecken könnte, dessen Erkenntnis er aber mit der bewusstseinstrübenden Droge rührender Weihnachtslieder flieht.
Die Zähmung der Weihnacht ist das Ergebnis einer langen kirchlichen Tradition. Man hat Gott klein gemacht. Man sagt: Er ist geworden, statt zu bekennen, dass er immer schon ist. Man sagt, er komme an, statt zu erkennen, dass er immer schon da war, ist und sein wird. Denn wer kommt, geht vielleicht auch wieder. Wer aber da ist, der bleibt. Die Worte sind trügerisch.
Die Zähmung des Heiligen ist ein Virus, der selbst die entfernten Glieder der Kirche infiziert hat. Man kann es etwa an der Reaktion auf die harschen Worte von Papst Franziskus erkennen, die er an die Mitglieder römischen Kurie gewandt hat. 15 Krankheiten diagnostiziert er – und es dauert nicht lange, da wird seine Diagnose dadurch relativiert, dass man aus seinen Worten eine Gewissenserforschung für jedermann macht. Der Schrecken, der den Kardinälen in die Glieder gefahren sein mag, wird gezähmt, indem wir doch alle irgendwie ein wenig gemeint sind.
Beliebt ist auch die Rede vom Aufbruch. Markige Worte werden verwendet – und auch hier wird gerne Papst Franziskus zitiert. Eine „verbeulte Kirche“ wird beschworen und dass man zu den Menschen gehen sollte. Man zähmt diese Worte durch beständige Wiederholung, wie man einen Hund abrichtet, dem man immer wieder die gleichen Befehle gibt, bis er gehorcht: Sitz! – Vom Aufbruch reden ist leicht, solange niemand aufsteht und losgeht.
Und so hat man auch das Weihnachtsfest gezähmt mit Tannen im Kirchenraum, Weihrauchduft, Jesusholzfiguren, die niemanden wirklich herausfordern und die bleiben wie sie sind, einer stillen Nacht, die bitte keine zu lauten Forderungen stellt und dem bei vielen Chören beliebten „Transeamus usque Bethlehem“ (Lasst uns nach Bethlehem ziehen), bei dem sich viele im Kirchenraum, Zelebrant und Altarassistenz eingeschlosssen dann doch lieber wieder hinsetzen.
Die Zähmung des Heiligen ist bequem, aber sie verschafft ein Problem. Wenn das Heilige seinen Schrecken verloren hat, fordert es nicht mehr heraus. Was nicht mehr herausfordert, ist langweilig, genau so langweilig wie das heiß ersehnte Weihnachtsgeschenk, das schon wenige Tage später seinen Reiz verloren hat. Man darf sich nicht wundern, wenn die Menschen von einer Kirche nichts mehr erwartet, die die Botschaft des Heiligen gezähmt hat.
Nun feiert die Kirche an diesem Sonntag das Fest der Heiligen Familie. Das ist wieder so ein Fest, das sich wunderbar dressieren lässt. Denn Familie ist wichtig. Und die Familie muss heil sein. Die Familie ist heilig. Auch das wird man wieder viel hören an diesem Tag. Und man wird hier und da die Klage hören, dass es um die moderne Familie nicht gut bestellt sei. Dabei wird man aber übersehen, dass selbst die Familie Jesu nicht den Maßstäben genügt, den mancher Katholik an eine Familie stellt: Ein außerehelich gezeugtes Kind, ein Ziehvater, der – laut kirchlicher Tradition – um einiges älter ist als die Mutter Jesu, und der zudem noch – ebenfalls laut kirchlicher Tradition, die die im Neuen Testament erwähnten Geschwister Jesu erklären muss – Kinder aus einer ersten Ehe mit in die Familie bringt – wenn das mal nicht ein prototypisches Bild manch moderner Patchworkfamilie ist …
Die heilige Familie lässt sich bei näherer Betrachtung nicht wirklich zähmen. Genauso wenig wie das Bekenntnis des weisen Simeon im Tempel, der der Mutter einfach das Kind aus den Armen nimmt und im Evangelium vom Fest der Heiligen Familie im Lesejahr B laut sagt:
Nun lässt du, Herr, deinen Knecht, wie du gesagt hast, in Frieden scheiden.
Denn meine Augen haben das Heil gesehen,
das du vor allen Völkern bereitet hast,
ein Licht, das die Heiden erleuchtet, und Herrlichkeit für dein Volk Israel. (Lukas 2,29-32)
Auch so ein Text, der längst gezähmt ist, weil er doch jeden Abend in der Komplet gebetet wird. Man sollte aber am Fest der Heiligen Familie in diesem Jahr über den folgenden Satz stolpern. Denn dort heißt es:
Sein Vater und seine Mutter staunten über die Worte, die über Jesus gesagt wurden. (Lukas 2,33)
Ein Satz, der viele Fragen offen lässt – und auch den Mund vor Staunen, wenn man die Worte des Simeon wirklich wirken lässt. Simeon hält kein Kind in den Händen, sondern das Licht der Heiden und die Herrlichkeit Israels. Herrlichkeit Israels, auf hebräisch die Schechina – wieder so eine Bezeichnung für JHWH. Da ist mehr als ein Kind, da ist Gott.
Mensch erschrecke und werde, so aufgeschreckt, endlich lebendig! Der Heilige zeigt sich! Der Heilige ist da!
Dr. Werner Kleine
Author: Dr. Werner Kleine
Dr. Werner Kleine ist katholischer Theologe und Initiator der Katholischen Citykirche Wuppertal. Er tritt für eine Theologie ein, bei der der Mensch im Mittelpunkt steht.
[…] Das Heilige zu zähmen ist ein Reflex, der seinen Grund in der Überforderung des Menschen hat. Und so wird er zum Architekten von Hüttchen, in denen der Geist nur noch in verträglicher Klimatisierung bläst. Wer das Glück in diesem Hüttchenspiel zwingen will, wird aber letztlich nichts gewinnen, sondern schlussendlich sogar alles verlieren. […]